Wasser für die Bergbauernhöfe in Europa
Marian Navas steht an vorderster Stelle einer großen europäischen Herausforderung: Sie sorgt dafür, dass Kleinbauern die Auswirkungen des Klimawandels bewältigen können. Für Navas, einer Spanierin, die den begehrten iberischen Schinken herstellt, und andere traditionelle landwirtschaftliche Erzeuger in den Bergregionen Europas kommt es auf das Wasser an. Können sie sich darauf verlassen, dass sie genug davon haben werden, wenn die globale Erwärmung zu häufigeren Dürreperioden führt?
Hoch gesteckte Ziele
Die Antwort auf diese Frage kann darüber entscheiden, ob die Berggebiete, die mehr als ein Drittel der europäischen Landfläche bedecken, weiterhin einen lebensfähigen Beitrag zum wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der EU leisten. Im Fall von Navas und zahlreichen anderen steht auch die Familiengeschichte auf dem Spiel. „Die Schweinehaltung ist ein Wirtschaftszweig, von dem viele Familien, darunter auch meine eigene, seit Jahrzehnten leben“, erzählt sie. „Jede Geschäftstätigkeit bringt Herausforderungen mit sich, und für diejenigen, die direkt mit der Natur verbunden sind, ist der Klimawandel eine zusätzliche Herausforderung.“
Berglandwirtschaft: Bedrohung durch Kilamwandel
Die Bedrohung der Wasserversorgung, die von Betrieben in Berggebieten von Spanien bis Schottland benötigt wird, steht im Mittelpunkt des EU-finanzierten Projekts MOVING. Im Rahmen der vierjährigen Initiative, die bis August 2024 läuft, werden die Schwachstellen der Berglandwirtschaft bewertet und eine Kartierung der gesamten Lieferketten durchgeführt, um Erkenntnisse für neue politische Maßnahmen und langfristige Antworten zu gewinnen. „Nach zwei Jahren ist klar, dass der Klimawandel eine der größten Bedrohungen darstellt“, sagt ProfessorIn Maria Mar Delgado-Serrano, die MOVING von der Universität Cordoba in Spanien aus koordiniert. „Höhere Temperaturen und mehr Dürreperioden bedeuten weniger Schnee und weniger Wasser. Die Menschen sind besorgt.“ Aber Menschen wie Navas scheinen auch entschlossen zu sein, die Herausforderungen, denen sich MOVING stellt, in Angriff zu nehmen.
Teil des Projektes: Lammfleisch aus Österreichs Alpen
Auf dem Radar des Projekts steht auch die Erzeugung von Lebensmitteln wie Käse aus dem portugiesischen Serra da Estrela, dem italienischen Caciocavallo aus der Region Alto Molise und dem schweizerischen Tête de Moine, Lammfleisch aus dem französischen Val de Drôme sowie aus den österreichischen und serbischen Alpen, Johannisbrotpulver von der griechischen Insel Kreta, Kastanienmehl von der französischen Insel Korsika und aus Norditalien sowie Getränke wie der portugiesische Wein Alto Douro und schottischer Malt Whisky. Mit dem Fortbestehen dieser Erzeugertätigkeiten würde dem wachsenden Wunsch der Verbraucher nach einer weniger intensiven Landwirtschaft entsprochen und der wirtschaftliche, soziale und kulturelle Reichtum Europas gestärkt. Im Gegensatz zur Massentierhaltung geht diese Art der traditionellen Berglandwirtschaft respektvoller mit der Natur um und schließt sie sogar mit ein. Diese Erzeuger sind in der Tat ein fester Bestandteil der europäischen Landschaft.
Eichelmastschweine
Der iberische Schinken, auch Jamón ibérico genannt, ist ein Paradebeispiel für die wirtschaftlichen und ökologischen Probleme, um die es geht. Die besonderen Produktionsmerkmale verleihen dem Schinken eine unverwechselbare Nussigkeit, Süße und Zartheit, ein Etikett mit geschützter Ursprungsbezeichnung (g.U.) und einen Höchstpreis. In Spanien gibt es vier geschützte Ursprungsbezeichnungen für iberischen Schinken, der aus den südlichen und westlichen Regionen des Landes stammt. Das System der geschützten Ursprungsbezeichnung umfasst Vorschriften, die die Herkunft, die Produktionsmethoden und die besonderen Eigenschaften des Fleisches garantieren. MOVING befasst sich mit der kleinsten geschützten Ursprungsbezeichnung: Los Pedroches, deren Schinken von schwarzen Schweinen stammt, die sich auf den Weiden der Sierra Morena in Südspanien von Eicheln, Insekten und Gras ernähren. Die Kombination aus der Ernährung und dem Umherstreifen führt zu einem hohen Fettanteil im Fleisch. In einem langen Reifeprozess entwickeln sich dann jene Eigenschaften, die den Schinken zu einer Delikatesse machen. Der Wasserbedarf für den Eichelanbau und die Schweinezucht stellt jedoch eine zunehmende Belastung für den Sektor dar, insbesondere für die traditionellen Erzeuger, so Juan Luis Ortiz, Generalsekretär der geschützten Ursprungsbezeichnung Los Pedroches.
Optimierung der Wassernutzung
„Wasser ist heute eine der größten Einschränkungen für unsere Weiden, insbesondere für die Eichelproduktion“, erklärt Ortiz. „Außerdem trinken Schweine etwa zehn Liter Wasser pro Tag. Die größte Herausforderung besteht in der Gewinnung und Speicherung von Wasser sowie in der Optimierung seiner Nutzung, um Verluste zu vermeiden.“ Einige Schweinehalter in Spanien spannen Vordächer über Teiche, aus denen die Tiere trinken, um die Verdunstung zu verhindern: eine Technik, die laut Delgado in der europäischen Landwirtschaft in Hanglagen zunehmend verbreitet ist. „Auch an anderen Orten werden immer häufiger kleine Teiche mit Kunststoff abgedeckt, um Wasserverluste zu vermeiden“, sagt sie.
Die Strategie des Winzers für den Boden
Für Luca Pedron, Leiter der Agronomie beim Schaumweinhersteller Ferrari in der norditalienischen Region Trient, ist Wasserknappheit ein wachsendes Problem, seit ein trockener Sommer im Jahr 2003 die Traubenproduktion belastete. Die Warnung habe sich im Jahr 2022 verstärkt, als ein sehr trockenes Jahr mit ungewöhnlich hohen Temperaturen sowohl die Quantität als auch Qualität der Trauben beeinträchtigte. „Unsere Ernte hatte einen niedrigen Zuckergehalt und wenig Säure: also genau das, was wir vermeiden müssen, um einen guten Qualitätswein zu erhalten“, erklärt Pedron. „Was uns heute Sorgen macht, sind die geringeren Niederschläge und Schneefälle bei gleichzeitig langen Zeiträumen mit hohen Temperaturen.“ Eine Antwort der Winzer sei es, die organische Substanz im Boden zu erhöhen, damit dieser fruchtbarer wird und dadurch mehr Wasser speichern kann. Die Abdeckung des Bodens, eine tiefere Durchwurzelung und der Einsatz leichterer Maschinen, wo immer möglich, sind laut Pedron Teil der Gesamtlösung. „Es handelt sich um eine Strategie, die aus mehreren Maßnahmen besteht, die alle auf eine bessere Bodenfruchtbarkeit und besser entwickelte Wurzelsysteme abzielen“, sagt er abschließend.
Gebirgsketten
MOVING hat die Produktionssysteme und Schwachstellen in allen 23 vom Projekt erfassten Regionen bewertet. In den noch verbleibenden 15 Monaten soll ein Fahrplan für Maßnahmen zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit der europäischen Berggebiete erstellt werden. Um beim Beispiel des iberischen Schinkens zu bleiben, bedeutet dies, dass die einzelnen Schritte von der Schweinezucht über die Verarbeitung, die Vermarktung, den Vertrieb und den Verzehr beispielsweise in einem spezialisierten Delikatessengeschäft in Berlin, Paris oder New York bewertet werden. „Wir brauchen Verbraucher, die bereit sind, den hohen Wert dieses Produkts zu bezahlen, damit die Pflege der Weiden, der Schweine und der Berggebiete nachhaltig gestaltet werden kann“, sagt Delgado. „Wenn man will, dass diese Gebiete lebendig bleiben, braucht man Menschen, die dort arbeiten.“ In Spanien gibt es rund 4.000 Betriebe, die iberische Schweine züchten. Mit weniger als 400.000 Tieren ist dies nur ein Bruchteil des gesamten Schweinebestands des Landes, der bei rund 34 Millionen liegt. Das Geschäft mit iberischem Schinken ist auf ausländische Märkte ausgerichtet. Nach Angaben der spanischen Handelsagentur ICEX beliefen sich die Ausfuhren im vergangenen Jahr auf mehr als 500 Millionen Euro. Etwa drei Viertel dieser Lieferungen gingen in andere europäische Länder, darunter Frankreich, Deutschland, Italien und Portugal, während die wichtigsten Abnehmer in Übersee die USA, Mexiko und China waren.
Stolz der Erzeuger
Die Bergregionen bieten zahlreiche öffentliche Güter wie Wasser, saubere Luft und Landschaften, die staatliche Beihilfen für die Landwirtschaft im Bergland rechtfertigen könnten, so Delgado. Eine weitere Stärke dieser Gebiete seien jedoch die einheimischen und qualifizierten Arbeitskräfte, die sich für den Schutz des Bodens einsetzen und zeigen wollen, dass diese Art der Landwirtschaft die Nachfrage der Verbraucher zunehmend beeinflussen kann. „Sie wollen einen Arbeitsplatz, ein Einkommen und eine Existenzgrundlage“, sagte Delgado. Navas ist der beste Beweis dafür und zeigt sich entschlossen, mit Hilfe verschiedener praktischer Verbesserungen in der kleinen Schweinehaltung erfolgreich zu sein. Dazu gehören Wasserauffang- und -speichersysteme, um die Niederschläge das ganze Jahr über nutzen zu können, sowie die Schulung von Landarbeitern, um einen ordnungsgemäßen Baumschnitt und gute Bodenbedingungen für die Bäume zu gewährleisten. Sie sagt, dass MOVING, abgesehen von den endgültigen Ergebnissen, die sich ergeben werden, bereits jetzt von Nutzen war, da es eine Vielzahl von Fachleuten aus ganz Europa zusammengebracht hat, die ihre Überlegungen über den folgenden Weg bereichert haben. „Dieses Projekt wirkt sich sehr positiv auf meine Zukunftsperspektiven in diesem Sektor aus“, erklärt Navas.
APA-Science Content-Kooperation mit Horizon / Artikel von Horizon Staff